Militär-Humoreske von R. Bach
in: „Rhein- und Ruhrzeitung” vom 5.3.1898
Damit zur Winterzeit mit ihren langen Abenden der nicht mit Rekrutendrill beschäftigte Leutnant etwas zu thun hat und vor Langeweile und Seßhaftigkeit am Biertisch bewahrt wird, erfanden höhere Geister schon vor längeren Jahren die sogenannte Winterarbeit und späterhin den Vortrag, der letztgenannte eine Domäne der Streber und Kriecher. Zu dieser im allgemeinen wenig angenehmen Art der Epaulettenträger gehörte nun Hannibal von Kreuz durchaus nicht. Er war ein fröhlicher gutherziger Mann, jedem edlen Sport zugethan, hin und wieder ein loses Mundwerk verrathend, und nebenbei Bataillons-Adjutant, berittener Schreiber fünfter Rangstufe. Mit dem im Kadettenhause bevorzugten bestandenen Abiturienten-Examen glaubte er den Gipfel des Wißens erreicht zu haben, und fürderhin widmete er sich der Jagd, dem Fechten und vor allen Dingen dem Reiten, soweit es natürlich der Dienst erlaubte. Kam der Winter, so schnallte der Herr Leutnant mit dem Namen des großen Puniers den Stahlschuh an und flog nur so über das blanke Eis, am liebsten natürlich mit Fräulein Grete, schlankweg Regiments-Grete genannt, denn sie war des Obersten einziges Töchterlein. Sie lief beinah so virtuos wie Hannibal, und staunend, neidisch bewundernd blieb alles stehen, wenn das junge Paar kunstvolle Figuren lief oder mit D-Zug-Geschwindigkeit heranbrauste. So sollte es auch in diesem Winter sein, und von Kreuz stand eben im Begriff, nach der spiegelglatten Eisbahn zu gehen, als ihm eine Ordonnanz ein Schreiben überreichte. Ein einziger Blick hinein genügte, um die frohe Stimmung in Grimm und Aerger zu verwandeln. „Ab nach Kaßel,” warf er der Ordonnanz zu, „ach was,” meinte er darauf, „bange machen gilt nicht, werde schon durchkommen ‐ nur immer frisch hinein, es wird so tief nicht sein.” Darauf schob er den Dienstbrief in die Paletottasche und eilte, ein Liedchen summend, höchst vergnügt dem Eise zu, um bald darauf mit Greten Bogen zu schlagen und während einer Rast in der Kaffeebude am Rande der Wiese Mokka zu schlürfen und Pfannkuchen zu schlemmen.
„Also morgen abend Vortrag vor dem Kommandirenden,” fragte die blonde Grete.
„Wie — Kommandirenden — — was?”
„Ja — sind wohl fabelhaft erschrocken,” neckte das Fräulein, „aber bitte darüber zu schweigen — nur für Sie bestimmt.”
„Fräulein Grete, Sie sind ein Engel. Sie — — ”
„Ach was — Engel — Unsinn! Engel können nicht Schlittschuh laufen, und ich gedenke noch trcht viel und oft auf dem Stahlschuh dahinzueilen. — Uebrigens, was für einen Vortrag halten Sie denn? Papa meint, Sie wären seine Rettung. Boberstein, der Ober-Streber —”
„Aber, Fräulein Grete!”
„Na, gewiß, Ober-Streber — gräßlicher — hm, sonst sehr netter Mensch —” beide lachten hell auf, „ ist beurlaubt, Herr von Kriecher leidet an Heiserkeit, und die andern Herren haben Papa rundweg erklärt, noch gar nicht einmal über die Winterarbeit nachgedacht zu haben.”
„Ich auch nicht.”
„Aber, Herr Leutnant — Papa kommt in ärgste Verlegenheit.”
„Ich auch.”
„Das ist schlimm. Denken Sie bloß, wenn Exzellenz sich zu langweilen geruhen. — Die Kritik am andern Tage — brrr!”
„Ja, 's wird schauderhaft sein, brrr!!”
„Wie heißt denn Ihr Thema?”
„Hm, muß mich mal besinnen — Pardon, einen Augenblick — 's war so was mit meinem punischen Namensvetter — richtig: Welche Ursachen machten die Pläne Hannibals gegen Rom scheitern?”
„Oh, das erfordert ja ein riesiges Quellenstudium!”
„Natürlich! Lieh mir auch schon vor vier Wochen Mommsens römische Geschichte.”
„Allerhand Achtung!” spöttelte Grete, „und morgen abend wollen Sie wohl aus Mommsen ablesen!”
„Was gemacht werden kann, wird gemacht, Fräulein Grete, wie ist's aber jetzt — wollen wir hier anfrieren?”
„Sie habn Recht — vorwärts denn, während des Laufs besprechen wir das nähere. Papa darf nicht reinfallen. Sie sind seine Rettung — ha, da fällt mir etwas ein — schnell hinweg, Dauerrennen, der olle Major v. Ixbein, der gräßlich süße Kurschneider naht — brrr — vorwärts!”
Dahin flogen beide.
Der große Saal des Militär-Kasinos erstrahlte in tadellosestem Glühstrumpflicht, vorn auf einem Podium stand ein mit zwei Leuchtern bepflanzter Tisch für den Vortragenden, dahinter etwas seitwärts hing die Karte der Alpen und Italiens und vorn reihte sich Stuhl an Stuhl. Die Herren der Kasino-Kommißion gaben dem Ganzen die letzte Oelung, zerstäubten Kölnisches Waßer, Exzellenz liebten nämlich als gehorenener Rheinländer das duftende Erzeugnis der Firma Johann Maria Farina, und ließen noch einmal das Auge umher schweifen.
„Na, Herr Leutnant,” geruhte Major von Ixbein sarkastischen Tones hinzuwerfen, „werden Sie Hannibal ante portas sein oder einziehen in die Mauern, d. h. meine, ob Sie bei Exzellenz zu reüßieren glauben!”
„Hoffe, Herr Oberstwachtmeister.!”
„Na hören Sie mal. Belleben sagte, Sie hätten gestern noch keine Ahnung gehabt — äh, liefen auch noch bis ersten Mondeßchimmer Schlittschuh.”
„Warum nicht! Meine Mittel erlauben mir das — Kleinihgkeit — hoffe Ihren hochgeschätzten Beifall zu erringen — ah, pardon, da fällt mir ein, — Haben der Herr Major auch keinen Nachteil von dem gestrigen Einbruch gehabt? Waßer ist jetzt sehr naß und eisig.”
Feindlichen Blickes maß der so Gehöhnte den jungen ganz unschuldig blickenden Offizier und gedachte ihn eben mit einer schneidigen Antwort auf den der Rangliste nach gebührenden subalternen Standpunkt zurückzuführen, als weihevolles Rauschen die Ankunft von Exzellenz verrieten. Der hohe Offizier, ersichtlich gut gelaunt, denn die „grauen Regenthränen vom Ural”, Kaviar im gewöhnlichen Leben genannt, mit Pellkartoffeln, eine noch nicht gekannte, aber ganz überraschend gelungene Zusammenstellung zum Mittageßen beim Oberst hatten ihn in gnädige Stimmung versetzt, trat ein und im Augenblick füllte sich der Saal.
„Lesen Sie den Vortrag ab?” geruhten Exzellenz zu fragen.
„Frei, Exzellenz,” antwortete Leutnant v. Kreuz mit bescheidener Verneigung.
Beifälliges Kopfnicken des Armeekorps-Gewaltigen, Staunen des Obersten und der Stabsoffizier-Korona, zweideutiges Gemurmel vortragsfeindlicher Leutnants und ein „Na, das kann gut werden,” des treuen Freundes Horstmann.
Tiefe Stille — Leutnant von Kreuz begann: seine klare Stimme, die deutliche Außprache erfüllten den Saal und gewannen jedes Ohr. Manch einer schaute verwundert den bisher für einen freundlichen, sportlichen Windbeutel gehaltenen Hannibal an und tauschten erstaunte Blicke mit dem Nachbar. „Das hat sich der Kerl von einem gewerbsmäßigen Militär-Federfuchser aus Berlin besorgt,” knurrte Ixbein vor sich hin, „hm, werde ihn nachher auf Pflicht und Gewißen befragen.”.
Mit wachsendem Intereße lauschte die Versammlung dem Vortrage des jungen Offiziers, ganz besonders der Oberst, deßen Mienen Erstaunen und Ueberraschung verrieten. Als nach einer halben Stunde das Thema erledigt war, erhoben sich Exzellenz und drückten ihre höchste Befriedigung aus.
„Machen Sie das Examen zur Kriegsakademie, mein Herr Leutnant. Sie müßen mit Ihrem Pfunde wuchern — verstanden!”.
„Sehr wohl, Exzellenz,” gab Hannibal von Kreuz zur Antwort, und es begann vor seinen Augen schwarz, natürlich tintenschwarz zu werden. Ade ade, du flotter Reitsport, Jagd und Eislauf, hin zum Schreibtisch und gebüffelt! Der Oberst nickte bloß und meinte: „Ich erwarte Ihre Anmeldung zum Examen.” Hannibal errötete verlegen und murmelte ein „Zu Befehl!”
Der März kam: Leutnant von Kreuz, welcher während des Winters zwar tüchtig getanzt, doch sonst gebüffelt hatte, stieg ins Examen und bestand zum Erstaunen vieler lieben Kameraden sogar hervorragend. „Die Anstalt,” er meinte die Kriegsakademie damit, „muß sehhr heruntergekommen sein,” äußerte Major von Ixbein und schnitt Hannibal verachtungsvoll, während andere behaupteten, längst die Fähigkeiten des jungen Leutnants erkannt zu haben.
Der Oberst aber maß den darob tief errötenden angehenden Militär-Hochschüler ruhigen, wenn aich nicht unfreundlichen Blickes und sagte: „Sie haben ein größeres Können und Wißen bewiesen, als ich Ihnen trotz des frei gehaltenen Votrages, welcher im Schluß die ,ir sehr intereßante Beleuchtung der elenden Krämerpolitik der entgegenstehenden Parteien im alten Karthago enthielt, den Hauptgrund für das Erliegen des großen Puniers, zugetraut habe.”
Frühling und Sommer vergingen, auch das Manöver mit seinem toujour perdrix war zu Ende und Leutnanr v. Kreuz begab sich behufs Abmeldung nach Berlin zum Kommandeur.
Nachdem solche in vorgeschriebener Weise geleistet worden war, bat der junge Offizier für zweierlei um Gehör.
„Bitte Herr Leutnant.”.
„Herr Oberst, ich halte diesen Augenblick für den richtigen, das Geständnis zu machen, mich bezüglich des Vortrages mit fremden Federn geschmückt zu haben. Er war, ausgenommen den Schlußpaßus über die Krämerpolitik, nicht meines Geistes Eigentum, ich benutzte eine ältere Arbeit. Ueber Nacht lernte ich alles auswendig und legte mir das über die Parteistreitigkeiten nach meiner Auffaßung zurecht.”.
Tiefe Stille. Im Hintergrund rauschte ein Frauenkleid.
„Weßen Arbeit, Herr Leutnant?”.
„Herr Oberst — ich bitte gehorsamst, mir die Antwort auf diese Frage zu unterlaßen, hoffe, meine Fehler schon etwas gut gemacht zu haben.”.
„Das ist wahr, allein —”.
„Aber, Väterchen,” mischte sich plötzlich die gleich einem Geist erschienene blonde Grete ein, „warum so neugierig? Hat dich Herr v. Kreuz nicht aus der Klemme gerißen? Bedenke, wenn Exzellenz sich gelangweilt hätten!”.
„Ja, ja, — hm, mulier taceat in ecclesia — du gehörst nicht her.”
„O dochh, ich stehe à la suite des Regiments.”
Der Alte brummte etwas, strich zärtlich über den Goldkopf der Einzigen und wandte sich an den Leutnant: „Na, meinetwegen, will's nicht wißen. Ohre Ehrlichkeit genügt. Nun den zweiten Punkt.”
„Wollte gehorsamst um die Erlaubnis bitten, meine Verlobung veröffentlichen zu dürfen.
„Ah — mit wem?”
„Mit der einzigen Tochter eines Generalmajors und Garde-Brigade-Kommandeurs, Fräulein — Margaret von Bernsee.”
Dreifaches Schweigen.
„Der Herr General gestatten mir wohl als erster meine herzlichsten Glückwünsche zum Aufrücken, ich fing vorher den Brief aus dem Militärkabinett ab, auszusprechen.”.
Die Starre löste sich. Am Halse des jungen Generals hing die lustige Grete schluchzend vor Freude und Rührung und im Auge Hannibals blinkte es feucht.
„Solch Ueberfall,” ließ sich Herr General von Bernsee vernehmen, „unerhört! Er ist gelungen, lieber Hannibal, hab's längst geahnt und freute mich im stillen, aber” fuhr er mit erhöhter Stimme fort, „ehe ich's vergeße, hier, da haben Sie ein kleines Andenken mit auf den Weg, eine Arbeit von mir über den großen Punier —”.
„Herr General —”.
„Väterchen, Du hast es also doch gemerkt!”.
„Laße mir kein X für ein U vormachen. Du Sausewind! Nun aber zur Verlobungsfeier. Es sollen die Gläser erklingen, eins für den großen Karthager Hannibal.”
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